Die Historischen Grundwissenschaften im Spannungsfeld zwischen Grundlagenwissen und Expertentum

Die Historischen Grundwissenschaften im Spannungsfeld zwischen Grundlagenwissen und Expertentum

Organizer(s)
Christina Abel / Miriam Weiss, Arbeitsstelle der Regesta Imperii, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Location
Saarbrücken
Country
Germany
Took place
In Attendance
From - Until
30.03.2023 - 31.03.2023
By
Benjamin Gnaser, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Zum neunten Mal seit seiner Gründung im Jahr 2015 trafen sich die Mitglieder des Netzwerks Historische Grundwissenschaften zu ihrer Jahrestagung. Das Netzwerk versammelt Nachwuchswissenschaftler:innen unterschiedlicher Qualifikationsstufen mit Forschungsschwerpunkt in diesem Bereich.

In ihrer Begrüßung und Einführung hoben CHRISTINA ABEL und MIRIAM WEISS (Saarbrücken) hervor, die Historischen Grundwissenschaften seien nicht nur Grundlage für das Verständnis der Historischen Wissenschaften, sondern auch faszinierend in ihren Forschungsergebnissen. Allerdings gäbe es eine Diskrepanz zwischen der Bewertung des Faches durch Forscher:innen und dem Eindruck der Studierenden, die viele der Teildisziplinen für äußerst schwer zu erlernen und als nur eingeschränkt hilfreich erachteten. Diese Diskrepanzen abzubauen und das Spannungsfeld zwischen Grundlagenwissen und Expertentum konstruktiv wirken zu lassen, betrachteten Weiss und Abel als eine der Herausforderungen der Tagung, der mit zwei unterschiedlichen Formaten begegnet werden sollte: einer klassischen Fachtagung und einem World Café für Forschende, Lehrende und Lernende.

Im Rahmen der Fachtagung untersuchte MAXIMILIAN BACHER (Saarbrücken) die Urkunden der letzten Babenberger Herzoginnen Margarete und Gertrud im Hinblick auf Autoritätsmuster und Herrschaftslegitimation. Beide Frauen rückten in Folge des Todes Friedrichs des Streitbaren 1246 als letzte Erbinnen in den Mittelpunkt des Interesses der konkurrierenden Anspruchsteller. Während Margarete im Laufe ihres wechselvollen Lebens ihre intitulatio veränderte und damit, wenn nötig, am Hof Ottokars von Böhmen ihre Stellung als Herzogin bzw. Königin herausstrich, blieb Gertrud nach 1246 bei der intitulatio ihrer einfach gehaltenen Urkunden durchgängig bei ihrem Herzoginnen-Titel.

JOHN HINDERER (München) stellte seine Fallstudie zu Arengen in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts vor. Er untersuchte ein Sample von Privaturkunden aus der Landvogtei Oberschwaben mit gleichlautender Arengaformel. Entscheidend war dabei nicht das Ausstellerprinzip, denn diese variierten, wenn sie auch alle Amtsträger der Landvogtei waren. Dagegen waren alle Urkunden für Frauenklöster in der Region ausgestellt. Hinderer folgerte daraus, entweder ein freiberuflicher Notar oder eine Nonne eines der betreffenden Klöster als Verfasser oder Verfasserin seien für die Formulierung der Arenga verantwortlich.

Von „Burgen, Fehden und Gräbern“ handelte der Forschungsbericht von SOPHIA VICTORIA CLEGG (Bonn). Sie untersuchte die Grabplattenauflagen der Bischöfe von Paderborn und Minden im 14. und 15. Jahrhundert unter dem Aspekt der Sicherung und Legitimierung der Landesherrschaft. In beiden Städten standen weltliche Aspekte der Bischofsherrschaft klar im Zentrum der Repräsentation. Während in Paderborn die militärische Wahrung des Landfriedens das wichtigste Motiv auf den Grabplatten darstellte, war es in Minden die Burgenpolitik der Bischöfe.

Von seiner Analyse eines klösterlichen Heberegisters berichtete DAVID GNIFFKE (Darmstadt) unter dem Aspekt der Schriftpraxis im Augustiner-Chorherrenstift Frenswegen (1394–1600). Sein Ziel war es dabei, wahrscheinliche Rezeptionspraktiken des Schriftguts zu rekonstruieren. Das Heberegister des Reformstifts, bestehend aus 13 Schmalfolia, erlebte in der untersuchten Zeit strukturell-gestalterische Änderungen. Wurden die jährlichen Zahlungen der abgabenpflichtigen Höfe anfangs in Form einer einfachen Liste dokumentiert, wurden später platzsparende Tabellen mit vier Spalten auf einer Doppelseite untergebracht, die zuletzt zur besseren Übersichtlichkeit um einen Bereich für Anmerkungen ergänzt werden mussten.

CHRISTIAN SCHUMACHER (Mainz) diskutierte am Beispiel Alexander von Humboldts einen „ins Geniehafte getriebenen Dilettantismus“ und die „Zugänge und Ausgänge der Vielwisserei“. Dilettanten waren nach dem Verständnis von Humboldts Zeitgenossen keine hoffnungslosen Fälle, die von der Wissenschaft ferngehalten werden sollten, sondern leisteten zu ihr wichtige Beiträge. Alexander von Humboldt könne daher, so Schumacher, als Polyhistor und Dilettant im positiven Sinne, als letzter Universalgelehrter bezeichnet werden.

In seinem Abendvortrag berichtete SEBASTIAN RÖBERT (Leipzig) von den Erfahrungen der Juniorprofessur für Historische Grundwissenschaften bei den Versuchen, bei Studierenden die Freude für die Arbeit an den Quellen zu wecken. „Archive sind langweilig, die schaue ich mir nicht an“, diese Aussage eines Studenten zeige, dass ein Interesse für das Fach selbst innerhalb der Geschichtswissenschaften nicht selbstverständlich sei. Die Juniorprofessur in Leipzig kooperiert eng mit außeruniversitären Partnern wie der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und organisiert mit der Leipziger Sammlungsinitiative regelmäßig Ausstellungen in der Universitätsbibliothek, die von Studierenden mitgestaltet werden. Durch Arbeit nah am Objekt, durch Vermittlung von Praktika und ein Aufweichen der Epochengrenzen lasse sich erfolgreich Nachwuchs gewinnen, zeigte sich Röbert überzeugt.

Am folgenden Tag besuchten rund 70 Schüler:innen die Tagung, wo die Forschenden den Versuch unternahmen, ihnen in einem World Café die Historischen Grundwissenschaften näherzubringen. An Ständen zu Urkunden und Diplomatik (JOHN HINDERER, München, und RUDOLF HERTWIG, Stuttgart) der Paläographie (STEFFEN UHL, DUNJA DVORZAK und SASCHA KESSLER, Saarbrücken) und der Texterkennungs-KI Transkribus (JAKOB FROHMANN, Frankfurt am Main), zur Archäologie (BRITTA ÖZEN-KLEINE und ARNO BRAUN, Saarbrücken) und Reliqienauthentiken (KIRSTEN WALLENWEIN, Heidelberg), zum Archivwesen (DAVID SCHNUR und DAVID KRAUS, Saarbrücken) und zu Oral History (INES HEISIG und BIRGIT METZGER, Saarbrücken) wurde das Interesse der Schüler:innen spürbar angestachelt. Nach der Mitgliederversammlung des Netzwerks endete die Tagung mit einem Festvortrag für Kurt-Ulrich Jäschke.

Der Versuch der Tagungsveranstalter, bei Schülerinnen und Schülern ein Interesse an den Historischen Grundwissenschaften zu wecken, darf als gelungen betrachtet werden. Aber auch die teilnehmenden Studierenden und Jungwissenschaftler:innen erhielten auf der Tagung vielseitige Einblicke: Auch in diesem „kleinen“ Fach unterscheiden sich die Forschenden sichtbar in ihren Erkenntnisinteressen und methodologischen Zugängen. Ein Mangel an Themen für die kommenden Tagungen ist nicht zu befürchten.

Konferenzübersicht:

Christina Abel / Miriam Weiss (Saarbrücken): Begrüßung und Einführung

John Hinderer (München): Arengen in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts. Eine Fallstudie

Maximilian Bacher (Saarbrücken): Autoritätsmuster und Herrschaftslegitimation in den Urkunden der letzten Babenbergerinnen

Sophia Victoria Clegg (Bonn): Von Burgen, Fehden und Gräbern: Die Sicherung und Legitimierung der Landesherrschaft der Paderborner und Mindener Kirche mithilfe der Grabplattenauflagen für die Bischöfe im 14. und 15. Jahrhundert

David Gniffke (Darmstadt): Schriftpraxis im Augustiner-Chorherrenstift Frenswegen (1394–1600): Die Heberegisterserie

Christian Schumacher (Mainz): „ins Geniehafte getriebener Dilettantismus“ – Zugänge und Ausgänge der Vielwisserei

Sebastian Röbert (Leipzig): „Archive sind langweilig, die schaue ich mir nicht an.“ Angst vor Quellen und wie man sie überwindet

World Café

Kirsten Wallenwein (Heidelberg): Vom Barte des heiligen Petrus – Reliquienauthentiken digital

David Schnur / David Kraus (Saarbrücken): Geschichte zum Anfassen – Historische Quellen aus dem Landesarchiv des Saarlandes

Rudolf Hertwig (Stuttgart): Urkundenfälschung für Anfänger

Jakob Frohmann (Frankfurt): KI gegen Senckenberg. Oder: Kann eine künstliche Intelligenz Handschriften lesen?

Ines Heisig / Birgit Metzger (Saarbrücken): Oral History

Britta Özen-Kleine / Arno Braun (Saarbrücken): Vom Fund zum digitalen Modell – Archäologie heute

John Hinderer (München): Die geheimen Codes der Urkunden

Steffen Uhl (Saarbrücken) / Dunja Dvorzak (Saarbrücken) / Sascha Keßler (Saarbrücken): Was für ne Sauklaue – Paläographie-Buzzer

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